Nutri-Score Kennzeichnung immer häufiger auf Verpackungen
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich der Anteil fettleibiger Menschen seit 1980 in insgesamt 73 Ländern mindestens verdoppelt, dreizehn Prozent aller Erwachsenen weltweit gelten derzeit als adipös (Definition nach WHO: Übergewicht: BMI 25 – 29,9, Adipositas: BMI über 30). Um einer zunehmenden übergewichtigen Bevölkerung entgegenzuwirken, sollen Verbraucher in der EU zukünftig über Nährwerte von Lebensmitteln und Getränken auf Verpackungen informiert werden. Doch eine Einigung wurde bislang nicht gefunden.
KEINE EINHEITLICHE NÄHRWERTKENNZEICHNUNG IN DER EU
2010 sollte in der EU eine sogenannte Lebensmittelampel auf Lebensmittel- und Getränkeverpackungen eingeführt werden. Doch die Lebensmittelkonzerne verhinderten am Ende die Ampel.
Stattdessen fand man 2016 Einigung über tabellarische Angaben von insgesamt sieben Nährwerten auf verpackten Lebensmitteln: zu Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz. Die Zahlen beziehen sich jeweils auf 100 Gramm bzw. 100 Milliliter. Doch Kritiker bemängeln die kleine Schrift der Angaben auf der Verpackungsrückseite. Sie seien für Laien unverständlich; zudem werde keine Empfehlung für oder gegen den Verzehr ausgesprochen.
Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorganisationen fordern schon lange ein europaweit einheitliches, farbcodiertes Kennzeichnungssystem auf der Verpackungsvorderseite. Die Europäische Bürgerinitiative „Pro-Nutriscore“ sammelt aktuell Unterschriften für eine Ampel-Kennzeichnung aller Lebensmittel. Einige Länder haben bereits eigene Systeme erarbeitet. Die EU-Kommission erklärte im Juni 2018, die Berichte über die jeweiligen Erfolge dieser Kennzeichnungen zu prüfen und sich sodann für einen neuen Vorschlag zu einer „Front-of-Package-Kennzeichnung“ einigen zu wollen.
Vorreiter bei der Lebensmittelkennzeichnung
Bereits im Jahr 2007 wurde von der englischen Lebensmittelbehörde FSA ein Ampel-Modell für Lebensmittelverpackungen entwickelt. Danach wird mit den Farben Rot, Gelb und Grün der jeweilige Gehalt von Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz basierend auf 100 Gramm angegeben. Ein besonders hoher Prozentsatz an ungesunden Stoffen wird mit Rot hervorgehoben, grün deklarierte Lebensmittel gelten als nährstoffreich. Allerdings gibt es auch hier kritische Stimmen: So werden die einzelnen Bestandteile in insgesamt vier Farbskalen individuell berechnet und nicht miteinander in Einklang gebracht. Auch werde nicht zwischen guten und schlechten Fetten unterschieden, sodass Olivenöl, Avocado & Co. automatisch im roten Bereich angesiedelt sind.
Frankreich folgte im Herbst 2017. Der sogenannte „Nutri-Score“ wurde von Wissenschaftlern entwickelt und auf Betreiben der Regierung auf freiwilliger Basis eingeführt. Hier wird eine Gesamtbewertung der Nähwertqualität eines Lebensmittels / Getränkes vorgenommen und als fünfstufige Farbskala auf der Verpackungsvorderseite mit den Buchstaben A bis E dargestellt. Dabei steht A für ein nährstoffreiches Produkt, E für ein nährstoffarmes. Die Berechnungen beziehen sich ebenfalls auf 100 Gramm bzw. 100 Milliliter; es fließen sowohl negative (wie gesättigte Fettsäuren, Zucker, Salz), als auch positive Aspekte (wie Fruchtanteil) in die Gesamtbewertung ein. Die Farbskala reicht von grün bis dunkelorange. Das Gesamtergebnis bestimmt, welcher Buchstabe hervorgehoben wird.
Im Jahr 2018 haben Spanien, Belgien und die Niederlande das Nutri-Score-System übernommen.
Auch außerhalb Europas beschäftigen sich Länder mit einer Lebensmittelkennzeichnung auf Verpackungen. So gilt in Chile ein besonders strenges Etikettierungsschema: Schwarze Stoppschilder auf der Verpackungsvorderseite bedeuten die Überschreitung des empfohlenen Gehalts an Salz, Zucker oder Fett (interner link s.u.). Mexiko erhebt Steuern auf zuckerhaltige Getränke, und in den USA wurden im Jahr 2016 von der Food and Drug Administration neue Nährwertkennzeichen für verpackte Lebensmittel eingeführt. Danach müssen durch fette und größere Schrift Kalorien und Portionsgröße hervorgehoben und Prozentangaben der Tagesnährwerte für einen durchschnittlichen Erwachsenen auf den neuesten Stand gebracht werden. Zudem ist der Gehalt an zugegebenem Zucker anzugeben. Hersteller mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mindestens zehn Millionen US-Dollar müssen das neue Label spätestens am 1. Januar 2020 einführen; Unternehmen mit bis zu zehn Millionen US-Dollar haben ein Jahr mehr Zeit.
Die englische Lebensmittelbehörde FSA hat bereits 2007 ein Ampel-Modell für die Kennzeichnung von Lebensmitteln entwickelt. Allerdings unterscheidet dieses nicht zwischen guten und schlechten Fetten. Wie beispielsweise bei Olivenöl. Foto: Pixabay
Lebensmittelunternehmen gehen eigene Wege
Zwei Jahre hindurch haben fünf der größten Lebensmittelunternehmen der Welt an einem eigenen Label gearbeitet. Das „Evolved Nutrition Label“ sollte ebenfalls farblich gestaltet, allerdings auf Portionsgrößen und nicht auf 100 Gramm berechnet werden. Nach dem Ausstieg des US-amerikanischen Nahrungsmittelkonzerns Mars Inc. wurde das Projekt eingestellt. Dennoch verpflichten sich immer mehr Firmen einer freiwilligen Etikettierung:
In Frankreich druckt Danone die Nutri-Score-Ampel bereits auf einen Großteil seiner Verpackungen – nun soll Deutschland folgen. Danones Fruchtzwerge waren das erste Produkt im deutschen Handel mit einer deutlich sichtbaren Lebensmittelampel auf der Verpackung. Das Unternehmen plant die Einführung des Labels bis Ende 2019 bei fast 90 Prozent seiner Milchprodukte.
Nestlé möchte bis Ende 2019 seine Produkte mit dem Nutri-Score kennzeichnen – zunächst in Ländern, die das System bereits unterstützen. Nestlé Deutschland plant eine Umsetzung, sobald die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen seien.
Streit um Nutri-Score in Deutschland
Obwohl sich mit neun Bundesländern die Mehrheit für die Einführung des französischen Systems Nutri-Score bereits ausgesprochen hat, herrscht in Deutschland weiterhin Uneinigkeit in Bezug auf das Kennzeichnungssystem.
Das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) spricht sich gegen eine Lebensmittelampel aus; der BLL - Lebensmittelverband Deutschland hält keines der derzeitigen Kennzeichnungssysteme aus dem Ausland für geeignet. Noch im Sommer 2019 soll ein eigenes Modell erarbeitet werden, bei dem die jeweilige Menge an Kalorien, Fett, Zucker und Salz als Kreisdiagramm im Verhältnis zur empfohlenen Tagesmenge und bezogen auf 100 Gramm bzw. 100 Milliliter dargestellt werden soll.
Der Tiefkühlspezialist bofrost nutzt in Deutschland, Frankreich und Belgien seit Frühjahr/Sommer 2019 die Nährwertampel Nutri-Score auf seinen Produkten. Eine fünfstufige Farbskala von A (dunkelgrün) bis E (dunkelorange) gibt Auskunft über den Nährwert der Lebensmittel. Foto: "obs/bofrost*"
Trotzdem hatten einige Unternehmen ihre Produktverpackungen, darunter die Tiefkühlkosthersteller Iglo, bofrost und McCain sowie der Backwarenhersteller Mestemacher und der französische Getränke- und Lebensmittelkonzern Danone bereits mit der –von unabhängigen französischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelten –Lebensmittelampel versehen.
Im April 2019 jedoch hat das Landgericht Hamburg ein erstes gerichtliches Urteile gegen eine solche Verwendung gefällt. Iglo darf demnach das Label zunächst nicht weiter auf seinen Verpackungen nutzen. Die Begründung: Die Kennzeichnung sei keine reine Nährwertkennzeichnung, sondern eine Angabe im Sinne der EU Health Claims Verordnung. Hierbei werden gesundheitsbezogene Angaben ausgeschlossen, die sich nicht auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und dadurch abgesichert seien. Im August 2019 soll die Deutsche Bevölkerung nun über eine Nährwertkennzeichnung abstimmen. Es bleibt also spannend.
Coca-Cola hat angekündigt, weiterhin Farbkennzeichnungssysteme für seine Getränke zu testen. Foto: Coca-Cola Deutschland