„Es dominiert der Blick aus der Mülltonne, was absurd ist”
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Dr. Natalie Brandenburg ist seit wenigen Wochen die neue Geschäftsführerin des dvi. Bild: dvi/André Wagenzik
„Es dominiert der Blick aus der Mülltonne, was absurd ist”
Dr. Natalie Brandenburg übernahm am 1. April 2025 die Geschäftsführung des Deutschen Verpackungsinstituts e. V. (dvi) – und hat große Pläne. Im Interview mit dem interpack Magazin spricht sie über das enorme Potenzial der Branche, das hartnäckige Imageproblem und den Kampf um Nachwuchs.
Liebe Frau Dr. Brandenburg, Sie haben gerade die dvi-Geschäftsführung übernommen. Wie würden Sie die Verpackungsbranche Stand heute beschreiben?
Als sechstgrößte Branche des Landes ist die Verpackungswirtschaft sicherlich ein ökonomisches Schwergewicht. Sie ist in vielerlei Hinsicht sehr heterogen und vielfältig. Das fängt bei ihren Unternehmen an und geht über die Materialien bis hin zu Produktsegmenten und Spezialisierungen.
Unsere Branche ist geprägt von einem höchst leistungsfähigen Mittelstand mit zahlreichen Champions und Hidden Champions. Gleichzeitig haben wir große, multinationale Marktführer und viele kleine und kleinste Unternehmen bis hin zu Soloselbstständigen. Weil wir ohne Verpackung quasi kein Produkt schützen, transportieren, lagern und verkaufen können, spiegelt sich in der Verpackungswirtschaft die gesamte Bandbreite der heute verfügbaren Produkte vom Lebensmittel, Pharma und FMCG bis hin zu Rohstoffen, Industriegütern und Bauteilen. Die Branche kann mit allen Materialien umgehen. Sie ist hochinnovativ und liefert zuverlässig Antworten und Lösungen auf drängende Fragen und Herausforderungen.
„Wunderbarer Mix aus Kreativität, Design, Forschung und Technologie“
Darüber hinaus stehen unsere Unternehmen im Zentrum von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Hier ist die Verpackung Pionier und bis heute treibende Kraft. Diese Rolle führt auch dazu, dass die Branche sehr viel Erfahrung im Umgang mit den vielfältigen Anforderungen von Seiten der Politik, NGO sowie der Konsumentinnen und Konsumenten hat. Das ist gerade in stürmischen und disruptiven Zeiten eine sehr wertvolle Kompetenz.
Unsere Branche bietet einen wunderbaren Mix aus Kreativität, Design, Forschung und Technologie und bildet über ihre Wertschöpfungskette fast alles ab, was für Menschen, Wirtschaft und Umwelt unverzichtbar ist. Gleichzeitig, und das ist angesichts dessen, was ich gerade geschildert habe, fast unglaublich, hat die Verpackungswirtschaft noch immer mit einem massiven Imageproblem zu kämpfen. Es dominiert der Blick aus der Mülltonne, was absurd ist, wenn man bedenkt, mit welch kleinem Aufwand die Verpackung große Werte schützt. Verpackung ist erst wertvoll und dann Wertstoff. Besser geht es doch eigentlich nicht.
Was möchten Sie im dvi bewegen, das bisher vielleicht keine oder zu wenig Beachtung gefunden hat?
Ich schätze mich glücklich, dass ich im dvi ein einzigartiges Netzwerk vorgefunden habe. Es geht also erst einmal darum, zu verstärken, was bereits da ist und unsere Angebote an die Mitglieder und die Branche insgesamt weiter zu schärfen und gleichzeitig auszubauen. Auf drei Punkte möchte ich kurz näher eingehen: Nachwuchsarbeit und Stärkung der Kompetenzen in unserer Branche, das Image der Verpackung und die Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Zur Stärkung der Kompetenzen unserer Branche haben wir mit der Verpackungsakademie seit vielen Jahren ein hervorragendes Angebot, das in Präsenz- und Online-Seminaren materialübergreifend wichtige Themen aufgreift. Das wollen wir weiter ausbauen, denn sowohl die Anzahl der Themen als auch die Komplexität der Inhalte werden in Zukunft sicherlich nicht geringer werden. Vor Kurzem haben wir in diesem Kontext eine Kooperation mit der Packaging School der Clemson University in den USA gestartet. Hier bieten wir elf Grundlagenmodule als Web-Based-Training, die individuell gestartet und in eigenem Tempo absolviert werden können. Wer alle Module und eine finale Prüfung absolviert, erhält als Abschlusszertifikat das „Certificate of Packaging Science“. Vor allem für Quereinsteigerinnen und -einsteiger in die Verpackungsbranche ist das ein hervorragendes Angebot.
Geschäftsführerin Brandenburg setzt Schwerpunkte
Ausbauen wollen wir auch unsere Arbeit im Bereich Nachwuchs. Das ist kein exklusives Problem der Verpackungswirtschaft, aber es trifft eben auch uns. Mit dem Student Day und der kostenfreien Teilnahme für Studierende an der Dresdner Verpackungstagung, einer eigenen Nachwuchskategorie beim Deutschen Verpackungspreis und PackVision als Kooperationsprojekt von Unternehmen und Hochschulen haben wir bereits eine gute Grundlage. Wo wir noch aktiver werden wollen, ist der Bereich, der vor der Entscheidung für ein Studium liegt, also mit Blick auf Schülerinnen und Schüler.
Dabei kommt unweigerlich ein weiterer Punkt ins Spiel: das Image der Verpackung. Wir müssen als Branche den gesellschaftlichen Wert und die unverzichtbare Funktion von Verpackung viel stärker in den Vordergrund rücken. Verpackung schützt, informiert, ermöglicht Transport – und sie ist ein zentraler Hebel für mehr Nachhaltigkeit. Um junge Menschen zu gewinnen, braucht es ehrliche Kommunikation, Sichtbarkeit und Angebote, die neugierig machen. Außerdem müssen wir noch offensiver zeigen und kommunizieren, dass Verpackung kein Problem ist, sondern Teil der Lösung. Sie bietet Raum für Kreativität, Technologie, Nachhaltigkeit und unternehmerisches Denken, ist Hightech, Kreislaufwirtschaft und Gestaltungsspielraum. Das ist ein attraktives Paket. Verpackung ist kein veraltetes Berufsfeld, im Gegenteil. Verpackung ist immer am Puls der Zeit und muss der Zeit sogar möglichst immer ein Stück voraus sein. Sie bietet ein Tätigkeitsfeld, das lebenslang abwechslungsreich und dazu vergleichsweise krisenfest ist. Mir ist es ein besonderes Anliegen, junge Menschen noch früher und stärker für das Thema Verpackung zu begeistern. Unsere Branche hat viel zu bieten – und das wollen wir künftig noch deutlicher zeigen.
„Verpackungsindustrie muss mit einer Stimme sprechen“
Was die Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette und über alle Materialien hinweg angeht, gibt es schon heute keinen besseren und leistungsstärkeren Ort als das dvi. Wir sind das einzige Netzwerk der Verpackungswirtschaft, das Unternehmen entlang der gesamten Kette zu seinen Mitgliedern zählt. Der Gedanke, dass gerade eine so heterogene und vielfältige Branche wie die Verpackungswirtschaft einen Tisch braucht, an dem alle zusammensitzen, sich austauschen und an Lösungen arbeiten, war schon für die Gründung des dvi vor mehr als 30 Jahren grundlegend. Diese Notwendigkeit ist heute größer denn je. Wir bilden das ab, über unsere bekannten Veranstaltungen von Kongress bis Tagung, aber auch über die zahlreichen Expertenforen, in denen wir die Stakeholder zusammenbringen. Das ist nicht nur für Innovationsarbeit und wirtschaftliches Wachstum entscheidend, sondern auch mit Blick auf das schon angesprochene Imageproblem. Die Heterogenität und Vielfalt unserer Branche führt noch zu oft dazu, dass nicht immer an einem Strang gezogen wird. Hier stärker mit einer (!) Stimme für die Verpackung zu sprechen, war ein Gründungsgedanke des dvi und ist auch für die Außendarstellung und das Image unserer Produkte von großer Bedeutung.
Was hat Sie persönlich in Ihrer bisherigen Karriere geprägt, das Sie jetzt in Ihre Führungsrolle beim dvi einbringen möchten?
In meiner Arbeit als Beraterin habe ich über die Jahre intensiv an Strategie- und Organisationsentwicklungsprozessen gearbeitet. Eine zentrale Erkenntnis dabei war, wie entscheidend es ist, über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu denken und zu handeln. In der Beziehung kann ich mich beim dvi wirklich ausleben. Durch meinen Background in der Mediation und in der Projektleitung habe ich außerdem den großen Wert offener und klarer Kommunikation kennengelernt. Und ich habe gelernt, unterschiedliche Perspektiven im Raum stehen lassen zu können. Das Multiperspektivische ist gerade in der Verpackungswirtschaft unverzichtbar. Gleichzeitig habe ich schon immer gerne Brücken gebaut und Menschen miteinander vernetzt. Auch das passt perfekt. Meine Ausbildung im Bereich Public Policy hat mich darüber hinaus an die Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Recht geführt. Auch davon kann ich jetzt sicher profitieren.
Verpackung polarisiert – wie kann die Branche jenseits von Produktdaten wieder Vertrauen aufbauen?
In meinen Augen ist es zentral, dass die Branche mit einer Stimme spricht. Wenn wir von uns aus das eine Material gegen das andere ausspielen und eine Verpackung mit Blick auf eine andere Verpackung abwerten, bleibt bei den Menschen am Ende nur das Negative hängen. Das hilft niemandem. Wichtig ist auch, dass wir das eklatante Wissens-Gap schließen. Es gibt einen derart dichten Vorhang aus Vorurteilen, Fehlinformationen und falschem Wissen über Verpackungen, dass es schwer ist, mit positiven Fakten und Aussagen durchzudringen. Kurz gesagt: Die positiven Fakten sind da, das Wissen darüber fehlt in der Öffentlichkeit noch viel zu häufig. Um das zu ändern, müssen wir geschlossen auftreten und wir müssen die Menschen möglichst früh erreichen.
Zur Person: Die neue dvi-Geschäftsführerin Dr. Natalie Brandenburg bringt umfassende Expertise in Nachhaltigkeit, Führung und Veränderungsprozessen mit. Sie war viele Jahre als Senior-Beraterin, Mediatorin und Projektmanagerin tätig – zuletzt leitete sie das Nachhaltigkeitsteam bei S&P Consulting SE. Brandenburgs akademische Stationen reichen von Deutscher Philologie bis Public Policy, sie promovierte Konfliktforschung hat sie an der University of Kent. Die gebürtige Berlinerin, Mutter zweier Kinder, lebt mit ihrer Familie in der Hauptstadt.