Die Kreislaufwirtschaft ist eine bedeutende Stellschraube auf dem Weg zu einem „Grünen Europa“. Dazu müssen Ressourcen möglichst zirkulär genutzt werden. Gerade bei Verpackungen, die den größten Teil der Kunststoffabfälle ausmachen, wird bislang nur ein geringer Teil des Materials tatsächlich im Kreislauf geführt. Meist scheitert dies an technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI), die sich gerade rasant weiterentwickeln, können hier zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft beitragen. Schon heute sind KI-Technologien im Einsatz, um Abfallberge zu verringern und Recyclingprozesse zu verbessern.

Die Einsatzbereiche für KI im Recycling und in der Kreislaufwirtschaft sind vielfältig. So erkennen intelligente Systeme mit Kameras und Sensoren bereits bei der Sortierung der Abfälle, welche Materialien gerade über die Sortierbänder laufen. Sie können heute nicht nur Kunststoff, Papier und Metall unterscheiden, sondern auch verschiedene Kunststoffsorten, die dann automatisch in die richtigen Ströme sortiert werden. Neben der Sortierung von Abfällen kann KI beispielsweise auch den Energieverbrauch von Recyclinganlagen kontrollieren, die Qualität der Rezyklate überprüfen oder durch vorausschauende Wartung die Effizienz der Anlagen steigern.

Im letzten Sommer haben Remondis Recycling und RE Plano eine neue Sortieranlage in Bochum in Betrieb genommen, mit der es erstmals in Europa möglich ist, bis zu sechs verschiedene Farben durch neueste KI-Technologie zu sortieren, um das Eingangsmaterial optimal aufzubereiten. Damit ist Remondis in der Lage, ein farb- und sortenreines Rezyklat herzustellen, das von der kunststoffverarbeitenden Industrie weiterverarbeitet wird.

Die Eingangsmaterialien werden in der Bochumer Anlage nach Materialart und Farben sortiert. Vor allem PE-HD, Polypropylen- und PET-Verpackungen aus der Leichtverpackungs-Sortierung, aber auch Kunststoffe aus der Gewerbeabfallsortierung kann die Sortieranlage verarbeiten. Die europaweit einzigartige Farb- und Materialsortierung funktioniert mittels mehrstufiger Foto-Sensorik und ermöglicht die sortenreine Trennung des eingehenden Materials und unterscheidet beispielsweise Monolayer-Verpackungen von Verbundverpackungen.

Sortieranlage mit verschiedenfarbigen Ballen Kunststoffmaterial

Eine Sortieranlage in Bochum ist erstmals in der Lage, durch neueste KI-Technologie bis zu sechs verschiedene Farben zu sortieren. Bild: Steinert

Innovative Sortiertechnologie durch Deep Learning

Recyclingspezialist Tomra stellte jetzt eine auf Deep Learning basierende Sortiertechnologie vor, die künstliche Intelligenz nutzt, um PET-, PP- und HDPE-Ströme danach zu trennen, ob sie mit Lebensmitteln in Kontakt standen oder nicht. Diese so genannte GAINnext-Technologie ist als optionale Erweiterung des Multifunktionssortiersystems Autosort des Unternehmens erhältlich und soll die Leistung der sensorgestützten Sortieranlagen weiter verbessern.

Bisher war die Sortierung lebensmitteltauglicher Kunststoffe eine Herausforderung für die Recyclingindustrie, denn Verpackungen für Lebensmittel und Non Food bestehen häufig aus dem gleichen oder sehr ähnlichem Material. Herkömmliche Sortiersysteme haben es daher schwer bei der Unterscheidung und Trennung.

Das Sortiersystem Autosort mit GAINnext kombiniert die Objekterkennung mit traditioneller sensorgestützter Sortierung. Bild: Tomra

Mit der GAINnext-Technologie von Tomra können die Autosort-Systeme nun auch solche Materialien identifizieren, die mit herkömmlichen optischen Abfallsensoren nur schwer und in einigen Fällen überhaupt nicht zu klassifizieren sind. Durch die Kombination von Nahinfrarot-, visuellen Spektrometrie- und anderen Sensoren mit der Deep-Learning-Technologie hat das Unternehmen nach eigenen Angaben jetzt die genaueste Lösung entwickelt, die derzeit auf dem Markt erhältlich ist. Sie soll bereits Reinheitsgrade von über 95 Prozent bei Verpackungsanwendungen in Anlagen in Großbritannien und Europa erreichen.

Tomra hat außerdem zwei Non-Food-Anwendungen entwickelt, die das bestehende GAINnext-Ökosystem des Unternehmens ergänzen: eine Anwendung für das Deinking von Papier für saubere Papierströme und eine PET-Anwendung für sortenreine PET-Flaschenströme mit noch höherem Reinheitsgrad.

"Wir sind überzeugt, dass die jüngsten KI-Entwicklungen das Zeug dazu haben, die Wertstoffrückgewinnung, wie wir sie kennen, neu zu definieren. Dank des ausgeklügelten Einsatzes von Deep Learning macht GAINnext die Sortierung von Lebensmittelkontaktmaterialien und Bottle-to-Bottle-Qualitäten möglich – das sind Aufgaben, die unsere Industrie seit vielen Jahren vor große Herausforderungen stellen. KI treibt damit die Kreislaufwirtschaft zu einem Zeitpunkt voran, an dem sie am dringendsten benötigt wird: Regulatorische Vorschriften werden strenger und die Kundennachfrage nach technologisch fortschrittlichen Lösungen steigt."

Dr. Volker Rehrmann, Executive Vice President und Leiter von Tomra Recycling

Lösung komplexer Sortieraufgaben

„Der Einsatz der Deep-Learning-Technologie automatisiert nicht nur die manuelle Sortierung, sondern ermöglicht es der Industrie auch, durch feinste Sortierung hochwertige Rezyklate zu gewinnen“, erklärt Indrajeed Prasad, Product Manager Deep Learning bei Tomra Recycling. „Dank seiner Fähigkeit, Tausende von Objekten innerhalb von Millisekunden nach Material und Form zu erkennen, löst GAINnext komplexe Sortieraufgaben. Darüber hinaus bietet die integrierte Deep-Learning-Software die Möglichkeit, sich einfach an zukünftige Marktanforderungen anzupassen.“

Zu den ersten Kunden der neuen Anwendungen gehören Anlagen wie die von Berry Circular Polymers in Leamington Spa, die größte Multipolymeranlage in Großbritannien Viridor Avonmouth in Bristol und das französische Nord Pal Plast-Werk in Lesquin, das zur weltweit tätigen Dentis-Gruppe gehört.

Tomra stärkt seine Position im Bereich KI aktuell beispielsweise auch mit einer 25-prozentigen Beteiligung am Start-up PolyPerception. Das junge Unternehmen bietet KI-basiertes Monitoring von Abfallströmen an und gilt als eines der innovativsten Start-ups für die Sortier- und Recyclinglandschaft. Tomra will durch die Allianz sein Angebot weiter ausbauen – um Sortiersysteme und eine cloudbasierte Datenplattform sowie um eine innovative Lösung zur Materialanalyse.

Die Lösung von PolyPerception misst Daten an Schlüsselpunkten im Sortierprozess. Betreiber von Sortieranlagen können dadurch die Qualität der sortierten Ströme und den Verlust von gewünschtem Material im Reststrom kontinuierlich überwachen und Entscheidungen basierend auf qualitativen Daten treffen. Darüber hinaus stellt die Analyse-Methode als eine Art automatisiertes Compliance-System sicher, dass die Vorschriften für das Recycling von Lebensmitteln und die lokale Gesetzgebung eingehalten werden. Da sich die gesetzlichen Regelungen zunehmend verschärfen, verspricht sich PolyPerception eine weiterhin steigende Nachfrage nach seiner transformativen Technologie.

Auch das Bremer Start-up WasteAnt will mit einem KI-basierten Abfallqualitätsmanagement Müll zu einer wertvolleren Ressource machen und damit Abfallströme optimieren. Die KI-Technologie des Start-ups analysiert und quantifiziert kontinuierlich eingehende Stoffströme und ermöglicht so die Erkennung von Störstoffen, die Rückverfolgbarkeit der Wertschöpfungskette und einen effizienteren Anlagenbetrieb. Die kontinuierliche Prüfung der Stoffströme gibt dabei Auskunft über die Qualität der Abfalllieferung. Nichtverwertbarer Abfall soll so schon bei oder sogar vor Anlieferung erkannt und entsprechend in andere Anlagen umgeleitet werden. 2023 wurde das junge Unternehmen für seine KI-basierte Technologie zur besseren Verwertung von Abfällen mit dem Bremer Gründerpreis ausgezeichnet.