Der digitale Kollege findet die Lösung: Selbstlernende Assistenzsysteme in der Verpackungsindustrie

Er hilft, wann immer es im Produktionsprozess an der Maschine hakt: Bei Störungen, Stillständen, Überlast oder Ausschussproduktion. Dann findet er schnell heraus, was die   Fehlerquelle für die Produktionsunterbrechung ist. In Sekundenschnelle wertet er dafür alle Daten aus, die ihm zur Verfügung stehen – alle Handbücher, alle Informationen und Erfahrungswerte, mit denen er von seinen Kollegen gefüttert wurde. Er, das ist MADDOX, ein auf KI-Basis programmiertes Assistenzsystem für Verarbeitungsmaschinen, die in der Verpackungsindustrie eingesetzt werden.

MADDOX springt immer dann ein, wenn eine Störung auftritt. Dann gleicht der Algorithmus ab, ob es diese oder vergleichbare Fehlersituationen bereits gegeben hat und entwickelt daraus für die Bediener der Maschine schnell Lösungen zur Problembehebung. Das helfe  speziell neuen, noch unerfahrenen Kollegen, sagt Andre Schult, Geschäftsführer der Peerox GmbH, die MADDOX entwickelt hat – doch keineswegs nur den Neuen: „Das Assistenzsystem sorgt dafür, die Einarbeitungszeit zu verkürzen, die Produktivität durch weniger Ausfallzeiten zu steigern und in der Produktionspraxis dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken“, so der 40-jährige Maschinenbau-Ingenieur. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Markus Windisch hat er vor fünf Jahren die Firma in Dresden gegründet. Seitdem ist Wissensmanagement hoch im Kurs. Insgesamt 19 Mitarbeitende sind inzwischen in dem  Start-Up tätig, das zwischen der TU Dresden und Robotron seinen Firmensitz hat.

Für Dynamik sorgen Großkunden wie BAYER, Rotkäppchen-Mumm, Sachsenmilch und Verpackungsunternehmen wie LoeschPack und Theegarten PacTec. Sie setzen inzwischen in der Produktion bzw. der ihrer Kunden auf den „digitalen Kollegen“, wie ihn Andre Schult nennt. Und der neue Kollege macht seinen Job ausgesprochen gut. Denn er sorgt dafür, dass sich die Maschinenlaufzeiten einer Standardanlage im 3-Schicht-Betrieb im Jahresdurchschnitt um sechs Prozent erhöhen, da Ausfälle durch Störungen und Dauer der Störzeiten entsprechend verringert werden: „Mit MADDOX reduzieren wir sowohl die Anzahl als auch die Dauer von Störungen. Die Anzahl deswegen, weil wir helfen, Störungen in der Ursache nachhaltig zu beheben und Dauer, weil lange Wartezeiten auf Instandhalter seltener notwendig werden. Schon bei Verbesserungen von wenigen Minuten pro Störung und weniger Störungen pro Tag, ist eine Einsparung technischer Störzeiten von durchschnittlich 300 Stunden pro Jahr und Anlage eher die untere Grenze der Effizienzsteigerung“, rechnet Schult vor. Er weiß, wovon er spricht: Nach dem Studium an der TU Dresden war über zehn Jahre am renommierten Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV tätig.

Europaweit zählt es zu den führenden Instituten für angewandte Forschung in den Bereichen Verfahrenstechnik und Verpackung mit Schwerpunkt Lebensmittel, Verpackung, Produktwirkung, Verarbeitungsmaschinen sowie Recycling und Umwelt. Mehr als 300 Forscher und Mitarbeitende sind am Fraunhofer IVV an den Standorten in Dresden und Freising tätig. Geleitet wird das Fraunhofer IVV von Prof. Dr.-Ing. Jens-Peter Majschak, dessen „Schüler“ Andre Schult war. Viele Jahre hat er mit dem Leiter des früheren Anwendungszentrums für Verarbeitungsmaschinen und Verpackungstechnik eng zusammengearbeitet – bis zur Gründung der eigenen Firma 2019, zusammen mit Markus Windisch, der an der TU Dresden Elektrotechnik studierte.

Wurzeln, die bis heute prägend sind für das Grundverständnis des Zusammenspiels von Mensch, (lernender) Maschine und maschineller Intelligenz. Denn: Nur das, was an Wissen und Erfahrung der Bediener von Maschinen in die Programmierung einfließt, kann von Systemen wie MADDOX wirksam umgesetzt werden. Die Bereitschaft, eigenes Wissen in ein automatisiertes System zu geben, ist deshalb ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Implementierung selbstlernender Assistenzsysteme – und das in zweifacher Hinsicht: Einerseits, wenn es darum geht, dass Bediener, Techniker, Ingenieure und UX-Experten bereit sind, einen digitalen Kollegen im Training-on-the-Job-Prinzip zu entwickeln. Anderseits, wenn es darum geht, das eigene Wissen ohne Angst vor dem unbekannten Digital-Kollegen zu teilen: „Ängste, Sorgen und die Frage, ob der neue Kollege möglicherweise zum Job-Konkurrenten werden könnte, sind ein nicht zu unterschätzender psychologischer Faktor von Mitarbeitenden bei Entwicklung und Einführung selbstdenkende Assistenzsysteme. Diese Psychologie trägt mindestens zur Hälfte zum Erfolg bei. Insofern arbeiten wir eng mit Psychologen zusammen, um Vertrauen ins „Machine Learning“ zu schaffen“, weiß Andre Schult aus Erfahrung. Gelinge dies, steigere es das Engagement der Mitarbeitenden und deren Motivation, mit eigenen Ideen und Lösungen an der Weiterentwicklung mitzuschreiben: „Sie werden so zu Experten mit größeren Aufgabenfeldern.“

Erfolge am laufenden Band liefert Peerox übrigens auch selbst: Nach der Auszeichnung als Start-Up des Jahres 2019 gewann es zuletzt den DLG International FoodTec Award 2021.