„Der Innovationsdruck bleibt hoch“

Zwischen schleppender Nachfrage, regulatorischem Gegenwind und wachsendem Innovationsdruck zeigen sie, wie sich der Markt neu sortiert – und wo Chancen auf Konsolidierung, Wachstum und nachhaltige Transformation warten. Noch vor Veröffentlichung der M+A-Branchenanalyse Q1/2025 geben Dietmar Flügel und Mario Males von der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft exklusiv Einblick in die aktuellen Entwicklungen der Verpackungsbranche. Lesen zu hier zunächst Teil 1.

Dietmar Flügel: Der Rückgang des ifo-Geschäftsklimaindex im Verpackungssektor 2024 ist auf das kumulierte Zusammenwirken mehrerer Faktoren zurückzuführen: eine gedämpfte Nachfrage infolge der anhaltenden Rezession und moderater Konjunkturerwartungen in Deutschland, eine hohe makroökonomische und geopolitische Volatilität, die wiederum die Investitionsbereitschaft negativ beeinflusst, hohe Material- und Energiekosten, ein hoher internationaler Wettbewerbsdruck, Fachkräftemangel und ein hoher Grad an Bürokratisierung. Diese Faktoren beeinträchtigen allerdings nicht nur die Verpackungsindustrie, sondern spiegeln die aktuell angespannte Lage in weiten Teilen der deutschen Industrie wider.

Viele Verpackungsunternehmen verzeichnen rückläufige Umsätze und berichten von einer ausbaufähigen Auftragslage, was wiederum zu einer Verringerung der Kapazitätsauslastung führt. Infolgedessen erwägen Unternehmen zunehmend temporäre Produktionsanpassungen, wie die Reduzierung von Schichten oder die vorübergehende Stilllegung einzelner Anlagen, um auf die schwankende Nachfrage reagieren zu können. Insgesamt steigen die Anforderungen an die operative und technologische Flexibilität von Verpackungsunternehmen, um für situative Herausforderungen und Krisen adäquat gewappnet zu sein.

Mittel- bis langfristig wird es zwangsläufig zu wesentlichen Veränderungen in den Maschinenparks von Verpackungsherstellern kommen. Einschneidende Gesetzesänderungen in der Kreislaufwirtschaft erfordern bei den Unternehmen zeitkritische Investitionen zur Einhaltung neuer Umweltnormen, wie der EU-Verpackungsverordnung (PPWR). Um ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und regulatorische Vorgaben einzuhalten, müssen Unternehmen ihre Prozesse und Inputmaterialien so umstellen, dass sie Kreislaufwirtschaftskonzepte, Ressourceneffizienz und den Einsatz von Rezyklaten dauerhaft integrieren, ohne idealerweise einen Kompromiss bei der funktionalen Leistungsfähigkeit ihrer Endprodukte einzugehen.

Mario Males: Die zu beobachtenden Preissenkungen können zum Teil als Indikator für den anhaltenden Wettbewerbs- und Nachfragedruck in der Branche gedeutet werden. Insbesondere im Segment der Kunststoffverpackungen war die Preisentwicklung im ersten Quartal 2025 volatil. Im Bereich der Papierverpackungen hingegen sehen sich viele Hersteller unter Zugzwang, die Preise anzuheben, während der Markt insgesamt unsicher bleibt und Preisverhandlungen in dynamischen Zeiten herausfordernd sind. Bei Glasverpackungen wurden Preissenkungen zwar seltener, dennoch bleibt die Geschäftslage aufgrund der gedämpften Nachfrage angespannt.

Langfristig anhaltende oder wiederkehrende Preissenkungen führen unweigerlich zu einem erhöhten Margendruck, was üblicherweise einen intensiveren Preiskampf und Verdrängungswettbewerb innerhalb der Verpackungsbranche zur Folge hat. Ein verschärfter Preiswettbewerb kann zudem als Hemmschuh für erforderliche Investitionen in Innovationen und Nachhaltigkeit wirken, da finanzielles Eigenkapital knapper wird und/oder die Kapitaldienstfähigkeit für die Aufnahme von Investitionskrediten eingeschränkt wird.

Dietmar Flügel: Es ist eine zunehmende Konsolidierung des nach wie vor stark fragmentierten und nur moderat wachsenden deutschen Verpackungsmarktes zu beobachten. Neben strategischen Investoren haben insbesondere Family Offices und Finanzinvestoren, die in rund einem Viertel der weltweiten Unternehmenstransaktionen von Verpackungsherstellern in Quartal 1/2025 als Erwerber agierten, ihr Interesse an diesem Sektor in den vergangenen Jahren verstärkt. Durch gezielte Unternehmenszukäufe und die damit verbundenen Skaleneffekte, die sich aus der Bündelung mittelgroßer und kleinerer Unternehmen im Rahmen von sogenannten Buy-and-Build-Strategien ergeben, können Finanzinvestoren signifikante Wettbewerbsvorteile erzielen. Parallel initiieren Finanzinvestoren KI-gestützte Maßnahmen zur Effizienz- und Performance-Steigerung, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Packaging-Unternehmen zu erhöhen.

Die jüngsten Zinssenkungen der EZB verbessern die Finanzierbarkeit von Transaktionen und schaffen somit günstigere Rahmenbedingungen für einen Anstieg des Deal-Momentums, insbesondere für Finanzinvestoren. Private Equity verfügt zudem über signifikante nicht investierte Kapitalbestände („Dry Powder“) von circa USD 1,2 Billionen weltweit, davon rund USD 3,5 Milliarden in Deutschland. Insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen stoßen beim Erreichen bestimmter kritischer Unternehmensgrößen auf organisatorische Herausforderungen. In diesen Fällen können Finanzinvestoren mit ihrem umfassenden Management-Know-how – unter anderem im Hinblick auf den Aufbau von Strukturen, Effizienzprogrammen und Margenoptimierung – sowie ihrer Finanzkraft einen erheblichen Mehrwert bieten.

Der Innovationsdruck bleibt hoch, insbesondere getrieben durch neue regulatorische Vorgaben, fordernde Nachhaltigkeitsziele und verändertes Konsumentenverhalten. Unternehmen müssen verstärkt in nachhaltige Materialien, Kreislaufwirtschaftskonzepte und technologischen Fortschritt investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Innovationen wie Automatisierung, Digitalisierung und Smart Packaging sind entscheidend, um Effizienz zu steigern, neue Marktsegmente zu erschließen und sich von Wettbewerbern abzuheben. Die Fähigkeit, innovative und nachhaltige Lösungen in einem volatilen Marktumfeld schnell umzusetzen, wird zum zentralen Erfolgsfaktor für die Sicherstellung und den Ausbau der Marktposition von Verpackungsherstellern.

Mario Males: Die dynamische Entwicklung beim zunehmend höheren Einsatz von Rezyklaten durch deutsche Verpackungshersteller ist ein positives Signal auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft, das sowohl den strengeren regulatorischen Vorgaben als auch dem technologischen Fortschritt Rechnung trägt. Dennoch zeigt die zitierte Studie, dass zentrale Ziele – wie etwa der Einsatz von einer Million Tonnen Rezyklat bis 2025 – voraussichtlich verfehlt werden.

Besonders herausfordernd bleibt der Einsatz von Rezyklaten in kontaktsensiblen Verpackungen sowie die Erfüllung der ambitionierten Vorgaben der PPWR. Um die Transformation zu beschleunigen, sind Fortschritte bei der Sammlung, der Sortierung, des „Designs for Recycling“ und schnellere Zulassungsverfahren für Rezyklate im Lebensmittelkontakt zwingend erforderlich. Ergänzend könnten produktspezifische Rezyklateinsatzquoten, Abgaben auf schwer recycelbare Verpackungen und finanzielle Anreize für den Einsatz von Rezyklaten Angebot und Nachfrage gezielt stärken.

Dietmar Flügel: Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen stehen vor erheblichen Herausforderungen. Die Einhaltung der Verpackungsverordnung erfordert Investitionen in moderne Technologien unter schwierigen geopolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie Anpassungen im Verpackungsdesign, in der Produktion und eine engere Zusammenarbeit entlang der gesamten Lieferkette. Die teils komplexen Vorgaben zu Mehrwegquoten, Recyclingfähigkeit und umfangreichen Dokumentationspflichten zwingen die Verpackungsunternehmen, sich kurzfristig in strukturierter Weise auf die Herausforderungen vorzubereiten. Schon heute fällt es vielen kleineren Verpackungsherstellern schwer, den Überblick über die stetig wachsenden regulatorischen Anforderungen zu behalten und diese unter Wahrung der Produktfunktionalität rechtssicher umzusetzen. Es ist daher zu erwarten, dass strengere Vorgaben bestehende Konsolidierungstendenzen in der Branche weiter verstärken werden.

Gleichwohl sind deutsche Verpackungsunternehmen im europäischen Vergleich insgesamt gut positioniert, profitieren von einem hohen Innovationsgrad und zeigen teils wesentliche Fortschritte bei der Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Verpackungslösungen.

Mario Males: Besonders problematisch sind schwer recycelbare Materialien wie eingefärbte Kunststoffe oder Mehrschichtverpackungen, für die bislang kaum geeignete Rezyklate verfügbar sind. Um die Recyclingfähigkeit deutlich zu verbessern, rückt die Entwicklung neuer Verpackungsdesigns in den Fokus – vor allem solcher, die auf Monomaterialien und eine einfache Trennbarkeit setzen. Ein ganzheitlicher Lösungsansatz erfordert darüber hinaus Investitionen in Sortier- und Recyclingtechnologien, die Erforschung besser recycelbarer Materialien sowie den flächendeckenden Aufbau effizienter Rücknahme- und Mehrwegsysteme. Diese Maßnahmen bringen zusätzliche logistische Anforderungen, strukturelle Anpassungen und erhebliche Kosten mit sich. Erschwert wird die Umsetzung durch die fehlende Harmonisierung auf EU-Ebene, da nationale Unterschiede in der Infrastruktur und uneinheitliche Standards bestehen. Insgesamt zwingt die PPWR die Branche zu einem grundlegenden Wandel – bietet aber auch die Chance, als Katalysator für Innovation, Kreislaufwirtschaft und ökologische Nachhaltigkeit zu wirken. Voraussetzung dafür ist ein gemeinsames, praxisnahes Handeln von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Mario Males: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Tübinger Verpackungssteuer endgültig zuzulassen, hat weitreichende Folgen für die deutsche Verpackungsbranche. Das Urteil markiert einen Richtungsentscheid zugunsten nachhaltigerer Lösungen im Verpackungsbereich. In Tübingen führte die Einführung der Verpackungssteuer, die auch „Take-away“-Verpackungen betrifft, zu einem starken Anstieg des Mehrwegangebots: Die Zahl der Betriebe mit Mehrwegangeboten vervierfachte sich. Um die Steuer zu vermeiden, sind Restaurants und Gaststätten gezwungen, von Einweg- auf wiederverwendbare Verpackungslösungen umzustellen. Das Urteil wird die Entwicklung hin zu Mehrwegverpackungen in Deutschland beschleunigen und erhöht den Druck auf die Branche, innovative und umweltfreundliche Alternativen zu Einwegprodukten bereitzustellen.

Das Urteil hatte bereits eine deutliche Signalwirkung. Konstanz hat bereits eine vergleichbare Verpackungssteuer eingeführt und Köln sowie Freiburg planen die Einführung zum 1. Januar 2026. Auch der Deutsche Städtetag sowie der Deutsche Städte- und Gemeindebund gehen davon aus, dass weitere Städte und Gemeinden diesen Beispielen folgen werden, da durch das Urteil nun Rechtssicherheit für kommunale Regelungen dieser Art besteht.

Angesichts möglicher Verpackungssteuern in weiteren Städten sollten Verpackungsunternehmen sich frühzeitig und proaktiv auf eine steigende Nachfrage nach Mehrweg- und umweltfreundlichen Verpackungslösungen vorbereiten. Wer frühzeitig in nachhaltige Materialien und zirkuläre Verpackungssysteme investiert, kann sich entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern und von der Verpackungssteuer profitieren.

Lesen Sie auch Teil 2 des Interviews.