Ägyptens innovative Lösungen: Aus Kunststoffabfällen werden Recyclingmöglichkeiten generiert

Angesichts ihrer Haltbarkeit, ihres geringen Gewichts und ihrer Erschwinglichkeit gelten Kunststoffe seit Jahrzehnten als industrielle Zauberlösung. Etwa 36 % der weltweit produzierten Kunststoffe werden in Verpackungsanwendungen eingesetzt. Darunter auch Einweg-Kunststoffe, die eine besonders kurze Produktlebensdauer aufweisen.

Nach Angaben des UN-Umweltprogramms (United Nations Environment Program / UNEP) entstehen jährlich 400 Mio. Tonnen Kunststoffabfälle. 85 % davon landen auf Deponien oder werden als Restmüll entsorgt. Vor dem Hintergrund, dass die Industrie nach Möglichkeiten sucht, negative Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren, haben sich einige ägyptische Unternehmen der Herausforderung der Entsorgung von Kunststoffverpackungsabfällen gestellt. Sie suchen nach nachhaltigen Lösungen, die ihnen gleichzeitig neue Geschäftsmöglichkeiten auf dem Markt eröffnen.

In 2018 hat die Europäische Union (EU) eine erste europaweite Richtlinie ins Leben gerufen, die darauf abzielt, dass bis 2030 alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt recycelbar sind. Diese Strategie unterstützt die Verwendung von Kunststoffen, die „wiederverwendbar oder auf wirtschaftlich vertretbare Weise recycelbar“ sind.

Um Alternativen zu Einweg-Kunststoff zu fördern, verabschiedete die ägyptische Regierung in 2020 das National Waste Management Law no. 202 (Nationales Abfallwirtschaftsgesetz), das 2022 in Kraft trat. Dieses hat zum Ziel, die Herstellung von Einweg-Kunststoff zu begrenzen. Entsprechend hat das Umweltministerium einen Plan ins Leben gerufen, den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von Einweg-Kunststoff bis 2030 landesweit auf 50 Tüten zu verringern.

Das 2011 gegründete Unternehmen BariQ gilt als der größte Hersteller von recyceltem Kunststoff in der Region Naher Osten und Afrika (MEA). Mit seiner topmodernen umweltfreundlichen Technologie fokussiert sich BariQ auf die Wiederaufbereitung gebrauchter PET-Flaschen. In den vergangenen zehn Jahren hat das Unternehmen 15 Mrd. Plastikflaschen zu Non-Food-Granulat recycelt, was einer Einsparung von 260.000 Tonnen CO₂ entspricht.

Das ägyptische Unternehmen ist das erste in der Region, das 100 % seiner recycelten Produkte an global agierende Verpackungshersteller in Europa und Nordamerika exportiert. Die Pellets von BariQ sind von internationalen Regulierungsbehörden zugelassen – unter anderem von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und von Health Canada.

Clipsico Pack zählt in Ägypten zu den führenden Herstellern von Verpackungen für die Industrie. Seit sieben Jahren arbeitet das Unternehmen an der Entwicklung nachhaltigerer Lösungen.

„Anfangs hatten wir damit zu kämpfen, recyceltes Material herzustellen, dessen Qualität mit herkömmlichem Kunststoff vergleichbar ist“, erklärt Ramy Shohoud, CEO des Unternehmens. Dank seiner Forschungs- und Entwicklungsabteilung kann Clipsico heute 100 % seiner Umreifungsbänder aus gebrauchten Wasserflaschen und 70 % seiner Schrumpffolien aus recycelten Materialien herstellen.

Als langjähriger Kooperationspartner von Exxon-Mobil und weiteren europäischen Unternehmen wurde Clipsico Pack auch von der spanischen Normungs- und Zertifizierungsgesellschaft AENOR (Asociación Española de Normalización y Certificación) zertifiziert. Das garantiert, dass seine Produkte den EU-Richtlinien gerecht werden. Clipsico Pack exportiert monatlich 60 bis 70 Container Waren. 20 % davon mit recyceltem Verpackungsmaterialien, die Händler in Deutschland, Spanien und Italien importieren.

VeryNile sammelt, recycelt und bereitet Kunststoffabfälle auf, die in Flüsse geworfen werden. Das auf der Insel Qursaya bei Gizeh ansässige gemeinnützige Unternehmen arbeitet mit 60 Fischern zusammen, die am Nilufer über eine Strecke von 15 Kilometern hinweg Kunststoffabfälle aus dem Fluss einsammeln.

Laut Betriebsleiter Amir Nabile werden auf diese Weise pro Monat 20 Tonnen Kunststoffabfall gesammelt. „Wir kaufen den Kunststoffmüll zu einem Preis, der über dem Marktpreis liegt. So ermutigen wir die Fischer, den Fluss regelmäßig zu säubern“, so Nabile.

„Es gibt zahllose Produkte, die aus recyceltem Kunststoffabfall hergestellt werden“, erklärt Salma Ellakany, Gründerin des VeryNile Shops und Leiterin der Entwicklungsabteilung. Kunststoffflaschen werden gepresst und an Unternehmen verkauft, die sie recyceln und in der Herstellung von Fasermatratzen, Trikots und Turnschuhen einsetzen. Flaschendeckel werden geschreddert, erhitzt und so umgewandelt, dass sie in der Herstellung von Tischen und Sitzen eingesetzt werden können oder Holz in der Innenauskleidung von Fischerbooten ersetzen. Aus Plastiktüten wiederum werden Folien hergestellt, die zu Handtaschen, Geldbörsen, Körben und 40 anderen Produkten verarbeitet werden.

Auf der 27. Weltklimakonferenz (COP27), die Ägypten im November 2022 in Sharm El-Sheikh ausrichtete, diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt, wie die CO2-Emissionen reduziert und der globale Temperaturanstieg begrenzt werden können. Auch Tetra Pak und Uniboard nahmen teil und präsentierten hier die ersten recycelten Getränkekartons (UBC – Used Beverage Cartons). Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz überreichten sie kostenlose Muster. In das Projekt wurden insgesamt 2,5 Mio. Euro investiert, mit dem Ziel, jährlich 8.000 Tonnen UBC zu recyceln.

In einem Interview stellte Wael Khoury, Geschäftsführer von Tetra Pak Ägypten, die Kampagne „Better with Carton“ (Besser mit Karton) vor, mit der die Branche für den Umstieg auf Kartonverpackungen sensibilisiert werden soll, da diese eine bessere CO₂-Bilanz aufweisen.

Dr. Irene Fahim leitet als außerordentliche Professorin an der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen an der Nil-Universität ein Forschungsteam, das Prototypen von biologisch abbaubarem Kunststoff aus organischen Abfällen wie Zuckerrohr und Chitosan aus Meeresmuscheln entwickelt, die sich in der Erde binnen 60 bis 80 Tage zersetzen. Allerdings werfen Biokunststoffe die Frage auf, ob mit ihnen hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit und Verarbeitbarkeit eine Umstellung auf eine Produktion im industriellen Maßstab machbar ist. „Diese Herausforderungen werden künftig gelöst“, ist Dr. Fahim sicher.